Waren wir an diesem Freitag gemütlich in Briancon unterwegs, aßen Crêpes und machten einen Großeinkauf für die nächsten Tage, so packten wir am Nachmittag schon wieder unsere sieben Sachen um noch bis zu Bosse de Sialouze (3229 m) aufzusteigen und dort zu biwakieren. Zu fünft widmeten wir uns diesem Unterfangen und beim letzten Licht erreichten wir die Bosse. Auf der Ostseite fanden wir ein windgeschütztes Biwak, dass wir noch etwas erweiterten, damit wir auch alle Platz hatten. Das Mit-schleppen einer Flasche Rotwein und Pistazien (die Kombination kann ich nur empfehlen!) machte sich nun bezahlt und so genossen wir die Zeit während die Nacht hereinbrach.
Am nächsten Morgen wurden wir gegen 4:30 von den ersten Bergsteigern geweckt. Sie meinten, sie wären die Bäcker und hätten Croissants für uns. Nachdem ich sie fragte, ob sie nicht auch Pain au Chocolat hätten, war die Stimmung schon gut und wir führten etwas Small Talk zu dieser frühen Stunde. Für uns machte das Aufstehen noch keinen Sinn, da wir ja nicht weit hatten und nicht im Dunkeln klettern wollten. Also nochmal rein in den Schlafsack und eine gute halbe Stunde dahindösen…
Dann war aber die Zeit gekommen. Aufstehen, eine Kleinigkeit essen, rauf auf die Bosse und anschließend über den Glacier de Sialouze mehr oder weniger eben hinüber zur Brèche inf. de Sialouze. Das Licht ist schon gut und so beginnen wir zu klettern. Gleich zu Beginn und unaufgewärmt fällt die 3c-Stelle gar nicht so leicht, doch danach kann das Seil gleich wieder weg und wir steigen im leichten Gelände weiter. Für die nächste 4a-Seillänge packen wir es wieder aus. Wunderschöner Granit und super strukturiert – so wie ich ihn von meiner Begehung der Je vous salut Marie durch die Ostwand kenne. In der Schlüsselseillänge (5b) darf man die Reibungsfähigkeit der Schuhe gründlich testen – auf diesem Granit halten sie aber bestens. Nach zwei weiteren schönen und langen Seillängen stehen wir auch schon auf dem Gipfel der Aiguille de Sialouze, doch wie so oft im Ecrins-Massiv ist die Tour bei weitem nicht aus und die weitere Traverse ist sogar spannender als vor dem Gipfel.
Immer wieder müssen abseilen um dann auf den nächsten Gendarmen wieder raufklettern zu dürfen. Manchmal sind diese sehr steil und sehen in der Frontalansicht unmachbar aus. Immer wieder ertappen wir uns auf der Suche nach einer Umgehungs-möglichkeit, aber das Topo sagt uns abermals, dass wir direkt drüber müssen. Der Fels ist wie von einer anderen Welt – einfach genial diese Strukturen! Den letzten Turm umgehen wir westseitig (orografisch links) und erreichen nach kurzem Aufstieg den ersten Abseilstand in der Brèche sup. de Sialouze. Zwar ist der Weg nach unten steinschlaggefährdet, doch befinden sich die Stände immer an einem Platz totaler Sicherheit.
Nach der Abseilfahrt, überqueren wir den Gletscher abermals zu Bosse. Auf halbem Weg höhren wir jemanden verzweifelt rufen. Zuerst eine Frau, dann einen Mann. Sie müssen irgendwo oben im Couloir Coolidge sein, doch wir sehen sie nicht. Wir können ihnen nicht helfen, denn dieses ist bereits in der Sonne und akut vom Steinschlag gefährdet. Voriges Jahr sahen wir einen Brocken so groß wie eine Fiat 500 hinunterfliegen – nun einzusteigen wäre lebensgefährlich. Wir steigen zügig zum Refuge du Pelvoux ab und erzählen den Hüttenwirt von den Rufen. 20 Minuten später sehen wir schon den Hubschrauber – ich hoffe, dass er die zwei gefunden hat.
Fazit: Wunderschöne Überschreitung dieses eindrücklichen Granitgebildes. Der Fels ist super, die Kletterei macht Spaß, an vielen Stellen ist es ausgesetzt, da man sich genau auf Messers Schneid‘ befindet, gute Gesellschaft, was will man mehr? In Summe wieder eine ausgewachsene Tour mit einem Gipfel, der 2000 Höhenmeter über dem Campingplatz liegt.
Eine Beschreibung der Route findet sich unter: https://www.camptocamp.org/routes/54496/fr/aiguille-de-sialouze-traversee-arete-s-arete-n